Der Burgundersee

Gemäss dem Historiker Emanuel Friedli wurden 1887 in der Vanelschlucht Sprengungen vorgenommen, um den Durchfluss der Saane zu verbreitern und zu verhindern, dass es bei Hochwasser zu Überschwemmungen bis in den Grund kam. «Oberhalb von solch engen, durch Wasser gegrabenen Schluchten befindet oder befand sich eigentlich immer ein See», sagt Lokalhistoriker Walter von Siebenthal. 

Walter von Siebenhal, 1931 geboren, wuchs in der Bissen auf. Nachdem er als Statterbub und Knecht sowie als Melker im Welschland gearbeitet hatte, machte er eine Buchdruckerlehre bei der Druckerei Müller in Gstaad. Auf drei Wanderjahre in Glarus und Zürich folgte aufgrund des Lehrermangels die Ausbildung zum Lehrer. Er kehrte nach 18 Dienstjahren in Oberlangenegg, Amt Thun, 1976 mit seiner Familie nach Gstaad zurück. Seit seiner Pensionierung 1994 beschäftigt er sich mit der Geschichte des Saanenlandes und machte historische Dorf- und Museumsführungen.

Foto: Martin Gurtner-Duperrex

«Sagenstoff enthält immer einen Kern Wahrheit»

Der Doyen der Saaner Lokalhistoriker, Walter von Siebenthal, beschäftigt sich seit Jahren mit dem sagenhaften Burgundersee. Hat es diesen See, der sich einst über grosse Teile des Saanenlandes erstreckt haben soll, wirklich gegeben?

Noch bis ins Mittelalter könnte es hier unterhalb des Flugplatzes in Saanen einen See gegeben haben, den Rest des sagenumwobenen Burgundersees. Im 14. Jahrhundert wurde er erstmals in mehreren Steuerposten als «lacus Borguoyn» erwähnt. Dem Namen zufolge waren ab dem 5. Jahrhundert Burgunder in der Region ansässig. Eine andere Theorie besagt, dass der See eigentlich nach der Burg Vanel «Burgsee» heissen sollte. 

Foto: Martin Gurtner-Duperrex

Walter von Siebenthal, in welcher Zeitepoche soll dieser Burgundersee existiert haben? 

Nach der ersten Eiszeit könnte es im vom Gletscher tief ausgehobelten Tal vom Vanel bis nach Gsteig einen grossen See gegeben haben. Es ist möglich, dass auch nach dem Ende der letzten, vierten Eiszeit wenigstens ein Restsee, eben der Burgundersee, im Gebiet der Dorfrütti unterhalb des heutigen Flug-platzes durch einen Bergsturz am Vanel aufgestaut wurde. Danach entleerte er sich wohl im Lauf der Jahrtausende sukzessive durch eine Rinne in der Vanelschlucht, die das Wasser gegraben hatte. Vermutlich war der See schon im 14. Jahrhundert versumpft und geriet danach langsam in Vergessenheit.

Sie stützen sich auf mittelalterliche Sagen.

Die Sage «Hilb» erzählt davon, dass es «vor uralter Zyt» einen grossen See bis ins Innergsteig gegeben habe. Die Leute seien vom Waldmatten-Dörfli «uf dr Bille-Syte» (Pillon) ob Gsteig mit ihren Schifflein bis zur Burg, wo diese an eiserne Ringe festgebunden wurden, «z Brädig» gefahren. Es sei damals durch den See so «hilb» gewesen, dass man Weinreben angebaut habe

Gibt es auch archäologische Funde?

Am Ort, wo das Waldmatten-Dörfli einst lag, türmen sich heute neben Mauerresten im Wald grosse Felsblöcke auf. Es wurde wohl durch einen Felssturz komplett zerstört – genauso wie es die Sage erzählt. Gemäss Arnold Seewer fand man dort behauene
Steine, die für Bauten in Gsteig verwendet worden seien. Auch Hans Bettler kennt diese eingewachsenen, moosbedeckten Überreste und hat sie fotografiert. 

Wie sieht es mit den historischen Schriften aus?

Die Chroniken berichten, dass Graf Anton von
Greyerz 1429 mit den Saanern um Fischereirechte «in einem See der Landschaft» stritt. Es könnte sich um das Restgewässer unterhalb des Flugplatzes gehandelt haben, denn der Gelehrte Johannes von Müller schrieb um 1779, dass es dort einst einen See gegeben habe, in den die Saane hineingeflossen sei ­– im Gegensatz zu den in anderen Quellen separat aufgeführten Arnen- und Lauenensee. Der Berner Landvogt von Bonstetten bestätigte 1790, dass die Landwirtschaft zu seiner Zeit wegen Sandbänken, Steinen und Sümpfen in der Talsohle nur auf den Anhöhen möglich war. 

Deuten geografische Namen auf den See hin?

Der Ortsname Gstaad geht auf «Stad» und «Gestad» zurück. Ein Gestade weist meiner Ansicht nach auf das Ufer eines Sees hin, nicht auf das eines Bachs. Ortsnamen, die direkt an Flüssen liegen, tragen als Zusatz normalerweise deren Namen wie «an der Aare», «an der Thur», «an der Ilfis». Dies ist bei Gstaad nicht der Fall. Dass es während so langer Zeit unbedeutend blieb, könnte auf die ungünstige Lage zurückzuführen sein. Der Name Ledi bei Feutersoey weist ebenfalls auf einen Umschlagplatz für Schiffe hin. Und hat es in der Wystätt im Turbach und beim Heimet Räbwerk im Trom während des wärmeren, «hilberen» Seeklimas Rebberge gegeben? 

Stützen geologische Ablagerungen Ihre Vermutungen? 

Das Saanenland lag vermutlich einst um einiges höher als heute. Darauf deuten Ablagerungen von Sand und Steinen zum Beispiel am Oberbort hin, auf deren Höhe der Turpachbach geflossen sein könnte. Diese Ablagerungen habe ich dort beim Anpflanzen von Kartoffeln während der Anbauschlacht des Zweiten Weltkriegs selbst gesehen. Erst der Gletscher hobelte den Talboden so aus, dass ein See entstehen konnte. Der Geologe Hans-Jörg Moser hat aufgezeigt, dass auf dem Talgrund vom Vanel bis nach Gsteig junge Sedimente von Seen und Gletschern lagern. Daher war der Talboden sehr lange unfruchtbares Schwemmland. In den 1880er-Jahren wurden am
Vanel Sprengungen vorgenommen, um den Durchfluss der Saane zu erweitern und zu verhindern, dass es zu Überschwemmungen bis in den Grund kam. Erst nachdem im gleichen Zeitraum begonnen wurde, die Saane – wie andere Bäche auch – mithilfe des Kantons und der Eidgenossenschaft zu verbauen und zu begradigen, konnte der Talboden urbar gemacht werden. Dieser Prozess dauerte in der Folge Jahrzehnte.

Was spricht gegen die Existenz des Sees?

Eigentlich nichts, ausser dass es keine eindeutigen Beweise gibt (lacht) – aber Sagenstoff enthält immer einen Kern Wahrheit. Und vom ersten Jahrtausend nach Christus gibt es sowieso keine geschriebenen Überlieferungen. Aber: Wo Menschen am Werk sind, gibt es Irrtümer!

«Hilb» — eine uralte Sage

«Vor uralter Zyt ist ds Saaneland bis hinderschig i ds Gsteig en grossa See gsi. D Lüt sigen albe mit Weidlige bis zur Burg z Brädig gfahre u heige da d Schiffleni a isig Ringgi in de Schüpfen ambunde. Un uf der Bille-Site in der Waldmatte, da, wa mu no ieze Müreni gseht, sigi es Dörfli gstande. Dännzumaale ischs hie eso hilb gsi, dass mu der Win sälber pflanzet hät. Wann du ds Wasser bim Wanell dürhi gfräse hät, ischs viel rüher u wilder Worde, so dass iezen im Gsteig nit emal meeh d Öpfla moge zitiga.»

Emanuel Friedli: Bärndütsch — Saanen. Verlag A. Francke, Bern 1927

Autor: Martin Gurtner-Duperrex

Walter von Siebenthals Hauptquellen: Emanuel Friedli: Bärndütsch — Saanen. Verlag A. Francke, Bern 1927; J.R.D. Zwahlen: Zwei Regalien in der Landschaft Saanen. Sonderdruck aus dem «Anzeiger von Saanen», 1967; Gottfried Aebersold: Studien zur Geschichte der Landschaft Saanen. Stämpfli Verlag, Bern 1915; Arnold Seewer: Saaner Jahrbuch 1973 (Hrsg. Ulrich Chr. Haldi). Verlag Buchdruckerei Müller, Gstaad 1974; Hans-Jörg Moser: Helvetisches und Ultrahelvetisches, «Gsteig Feutersoey — früher und heute». Müller Marketing und Druck AG, Gstaad 2012.

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